Aus den Studienbereichen

Prof. Dr. Sabine Skalla im Interview: Die Herausforderungen frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen

Welche Folgen haben die bundesweiten Schließungen von Kindertageseinrichtungen in der Corona-Pandemie? Welche Ziele müssen für frühkindliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen bis 2030 erreicht werden? Diese und andere Fragen beantwortet Sabine Skalla vom Blickpunkt der Wissenschaft aus. 


Nils Johannes Kubiak im Gespräch mit Prof. Dr. Sabine Skalla

Unsere Leiterin für den Fachbereich Soziales & Pädagogik im Interview mit einem Absolventen der DIPLOMA. Nils Kubiak ist seit seinem Bachelor-Abschluss in Frühpädagogik – Leitung und Management in der frühkindlichen Bildung (B.A.) als freier Autor tätig, neben seiner Arbeit als Vorschulpädagoge sowie als Kindheitspädagoge und Kita-Manager im Waldorfkinderhaus-Herne e. V.

Nils Kubiak: Frau Professorin Skalla, am 01.08.2023 ist das Kindergartenjahr 2023/2024 gestartet. Nach der Corona-Pandemie ist dies das erste neue Kita-Jahr in der Zeit nach der Pandemie. Wie haben Sie die vergangenen Jahre aus Sicht der frühkindlichen Bildung erlebt?

Sabine Skalla: Ich habe die Zeit als eine sehr dramatische erlebt. Es war falsch, die Kitas zu schließen, was mittlerweile auch der Gesundheitsminister zugestanden hat. Die Vielzahl von Studien, die veröffentlicht wurden, hat gezeigt, dass die Rückstände, die Kinder durch die Schließung erfahren mussten, wahrscheinlich nicht mehr aufzuholen sind. Dies betrifft insbesondere Kinder aus bildungsfernen Haushalten. Die Kitas haben ihr Bestes gegeben und versucht, während der Schließung mit den Familien Kontakt zu halten, aber die soziale Isolation, die Kinder zum Teil erleben mussten, wurde letzten Endes zu einem großen Problem. Die Situation, allein zu sein, niemanden treffen zu können und auf diese Weise sozial isoliert zu sein, hat für die Kinder gravierende Folgen auf der Sozial- und Bildungsebene.

Nils Kubiak: Gibt es Erkenntnisse, die wir aus der Zeit der Pandemie mitnehmen können, damit Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung zum besseren Wohl von Kindern, Familien sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kitas gelingen kann?

Sabine Skalla: Die bundesweite Schließung von Kitas war kontraproduktiv für jeden Bildungsfortschritt und gleichwohl für das soziale Beieinandersein. Dazu gibt es mittlerweile viel Forschung und auch Kita-Studien, die dies belegen. Meine Studierenden haben zum Teil ihre Bachelor-Arbeiten zu diesem Thema geschrieben und die Auswirkungen der Corona-Pandemie untersucht.

Nils Kubiak: Kita und die Herausforderungen, vor die frühkindliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen gestellt sind, werden seit der Pandemie täglich in den Schlagzeilen verschiedenster Nachrichtenmedien angeführt. Wie bewerten Sie diese neue Präsenz?

Sabine Skalla: Aus meiner Sicht gibt es keine Steigerung der Präsenz von Kita in der Presse. Die Berichterstattung bedingt sich, zum Beispiel dann, wenn neue Gesetze in Kraft treten, die Kitas betreffen. In den Medien war es zweifelsohne ein großes Thema, als die Kita-Studien publiziert wurden, die gezeigt haben, dass die Schließungen unangebracht waren. Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder eine erhöhte Präsenz von Kita in der Öffentlichkeit, zum Beispiel beim Krippenausbau, zu Zeiten von Streiks und auch beim Tagesstättenausbau. 

Im Zusammenhang mit dem „Gute-KiTa-Gesetz„ erfolgte außerdem eine wahrnehmbare Repräsentanz, und aktuell ist es die Familienministerin Frau Paus, die in den Medien beim Thema „Kindergrundsicherung“ Bedarfe von Kindern in den Mittelpunkt der Debatte bringt. Die Präsenz hier ist offensichtlich und berührt indirekt auch Kitas.

Nils Kubiak: Kann eine kontinuierlich erfolgende Präsenz von Kita in den Medien dazu beitragen, dass Kita endlich als die Bildungsinvestition wahrgenommen wird, die in der Regel eintritt, wenn ein Kind eine institutionelle Fremdbetreuung erfahren darf?

Sabine Skalla: Das ist eigentlich keine neue Information, denn Forscherinnen und Forscher haben bereits vor 20 Jahren festgestellt und darauf hingewiesen, dass, wenn in die frühkindliche Bildung investieren würde, es einen hohen Mehrwert für die Gesellschaft gäbe. Wirtschaftliche Studien haben dies bestätigt. Es lässt sich festhalten, dass gute Bildungschancen in der Regel zu höher dotierten Berufen führen und auch für die eigene Rente kann besser gesorgt werden. Der volkswirtschaftliche Nutzen ist zweifelsfrei zu erkennen. Daneben gibt es Studien, die zeigen, dass eine gute Kita- und Krippenbetreuung, die in Deutschland leider nicht überall gewährleistet ist, institutionell auffangen kann, was für Familien manchmal nicht möglich ist. Daher arbeiten wir in Kitas familienergänzend.

Nils Kubiak: In den vergangenen Jahren wurde in den Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren investiert. Welche Bedeutung messen Sie dem U3-Ausbau bei, vornehmlich im Zusammenhang mit krippenpädagogischen Bildungsprozessen?

Sabine Skalla: Das ist ein problematischer Bereich. In Deutschland gibt es in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Betreuungsschlüssel. Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 3 in der krippenpädagogischen Betreuung. Das gibt es bundesweit praktisch kaum. Die Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern sind teilweise derart schlecht, dass guten Gewissens nicht von einer angemessenen Qualität in der Krippenbetreuung gesprochen werden kann. Es ist bitter, sagen zu müssen, dass die Qualität in den Krippen die festgelegten Standards in den meisten Fällen nicht erreicht. 

Hintergrund dessen ist, dass nicht in die Qualität, sondern in die Quantität investiert wurde. Durch das „Gute-KiTa-Gesetz" wurden Verbesserungen erzielt, dennoch fehlen flächendeckend Fachkräfte. Eine Kritik dieser Handlungen ist meiner Auffassung nach sehr angebracht. Jetzt muss es qualitative Fortschritte geben. Ein guter Personalschlüssel allein reicht dafür nicht aus. Das Personal in Kitas muss gut qualifiziert werden und dies kann einzig über die Ausbildung, durch Weiterqualifikation und mittels Studium, wie wir es an der DIPLOMA Hochschule anbieten, erfolgen. Es ist eben ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren.

Nils Kubiak: Vorschulkinder bereiten sich auf die Zukunft vor, indem sie die Gegenwart gestalten. Warum sind frühpädagogische Bildungsangebote im Vorschuljahr wichtig?

Sabine Skalla: Prinzipiell sind keine speziellen Vorschulangebote oder gar besondere Programme für Vorschulkinder notwendig. Ein Kind im Waldkindergarten benötigt kein spezielles Vorschulprogramm. Üblicherweise wird es auch ohne jenes schulfähig. Vorschulkinder benötigen Explorationsmöglichkeiten. Sie benötigen Platz und Zeit für Rollenspiele. Naturerfahrungen müssen für sie greifbar sein und auch Platz für ausreichende Bewegungsangebote sollte vorhanden sein. Vorschulkinder müssen auch mal irgendwo herunterspringen oder gar herunterfallen dürfen. Möglichkeiten zum kindlichen Ausdruck, zum Beispiel über Musik oder Kunst, sollten für sie angeboten werden. Der Raum und die Zeit für frühkindliche Erfahrungen sollte vielfältig gegeben sein. Spezielle Programme benötigt es dafür nicht. Aus Sicht der frühkindlichen Bildung kann gesagt werden, dass sich Kinder im Alltag ganzheitlich ausprobieren sollten und es nicht notwendig ist, dass Themen aus dem Schulkontext vorverlegt werden.

Nils Kubiak: Die Professionalisierung von Kindertagesstätten hat dazu geführt, dass Kitas als sozialpädagogische Dienstleister wahrgenommen werden. In diesem Kontext wird der Erziehungspartnerschaft eine hohe Bedeutung beigemessen. Können Familien in diesem Verhältnis als Kunden betrachtet werden?

Sabine Skalla: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kitas sprechen nur ungern von „Kunden„. In der Arbeit mit Eltern hat sich ein großer Wandel vollzogen und der Begriff „Erziehungspartnerschaft“ ist in diesem Zusammenhang angemessen. Wo früher Eltern noch mit Ansagen begegnet wurde und man sie stets außen vorließ, werden sie heute vielmehr in das institutionelle Handeln integriert. Die elterliche Instanz ist der erste Ansprechpartner in Erziehungsfragen und daher ist der Austausch mit Eltern bedeutsam. In meiner Zeit, in der ich unter anderem 17 Jahre als Kita-Leiterin tätig war, habe ich immer mal wieder erlebt, wie teilweise mit Eltern gearbeitet wurde und ich kann heute guten Gewissens sagen, dass sich die Elternarbeit in Kitas auf einem guten Weg befindet.

Nils Kubiak: „Kita goes digital!" Eine Vielzahl von Kindertageseinrichtungen ermöglicht Kindern das Lernen und Forschen mit Tablets und neuen Medien. Wie erfolgversprechend sind diese Angebote und welchen Einfluss nehmen sie auf die Selbstbildungsprozesse von Kindern?

Sabine Skalla: Kinder von Tablets und Smartphones fernzuhalten, ist praktisch unmöglich, denn auch die Eltern verbringen für gewöhnlich viel Zeit mit digitalen Medien. Es wäre schön, Kinder so lange wie möglich davon fernhalten zu können, aber wenn sie sich ein gewisses Wissen auf diese Weise aneignen wollen, warum nicht. In den Kindergartenalltag können digitale Erfahrungen integriert werden, jedoch halte ich es für notwendig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu dieser Thematik adäquat fortgebildet werden.

Nils Kubiak: Noch immer gibt es in der frühkindlichen Bildung Kritik an unzureichender Zusammenarbeit zwischen Kita und Grundschule, insbesondere im Rahmen der Transitionsarbeit. Was würde sich verändern, wenn beide Institutionen enger zusammenarbeiten würden?

Sabine Skalla: Eine engere Zusammenarbeit wäre tatsächlich sinnvoll. Beide Institutionen würden ein größeres Verständnis für einander erlangen können. Die Institution Kita hat grundsätzlich mehr Freiräume in der pädagogischen Arbeit und zum Teil auch schönere Räumlichkeiten [lacht]. Für Kitas ist es wichtig, erkennen zu können, was Schule den Kindern bieten kann. Man kann sich voneinander sicherlich immer etwas Wertvolles abgucken. Mittlerweile werden in vielen Grundschulen reformpädagogische Ansätze umgesetzt und auch offener Unterricht ist möglich. In der methodischen Grundschularbeit hat ein großer Wandel stattgefunden, beispielsweise indem sich die Kinder während des Unterrichts mehr bewegen dürfen und zur Zusammenarbeit untereinander nicht mehr in Reihen hintereinander, sondern an Gruppentischen in Kleingruppen zusammengesessen wird. Dass die beiden Institutionen sich gegenseitig Einblicke verschaffen, halte ich für sehr sinnvoll.

Nils Kubiak: Im Normalfall sind Eltern in der Betreuungsplatzsuche dazu angehalten, den Kitaplatz anzunehmen, der ihnen angeboten wird. Warum ist es für Eltern dennoch wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen konzeptionellen Ansätzen und pädagogischen Ausrichtungen eine Kita für ihr Kind auswählen?

Sabine Skalla: Eltern wollen das Beste für ihr Kind, davon ist auszugehen. In der Praxis zeigt sich die Betreuungsplatzsuche sehr unterschiedlich und hängt in erster Linie davon ab, wo eine Familie wohnt. In diesem Bezug sind die Kriterien „Nähe zum Wohnort„ und „Nähe zum Arbeitsplatz“ für Familien relevant. Ob das Kriterium des Kita-Konzeptes primär ausschlaggebend für die Kita-Wahl ist, sei einmal dahingestellt. Unzweifelhaft gibt es in ländlichen Regionen für Eltern keine große Auswahlmöglichkeit. In Städten zeigt sich ein anderes Bild. Hier haben Familien zumindest die theoretische Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Konzepten. Manchmal hören Familien auch auf Spielplätzen von einer beliebten Einrichtung und versuchen infolgedessen, dort einen Platz für ihr Kind zu bekommen. Der Hauptmotivator in der Entscheidung der Kita-Wahl ist meines Erachtens bei den meisten Familien nicht die Konzeption.

Nils Kubiak: Mit einer Image- und Personalgewinnungskampagne will die Landesregierung in NRW im Kita-Jahr 2023/2024 Zielgruppen, wie zum Beispiel Männer und Menschen mit Einwanderungsgeschichte, für die Arbeit in Sozial- und Erziehungsberufen ansprechen. Ziel der Kampagne ist es, weitere Unterstützung für die Kitas zu gewinnen. Was muss Ihrer Auffassung nach getan werden, damit sich ein mittel- bis langfristiger Erfolg einstellen kann?

Sabine Skalla: Man kann sich auch freuen, dass es noch Frauendomänen gibt [lacht], aber das ist nicht meine Antwort. Aus meiner Sicht werden hier zwei Themen vermischt. Einmal ist es Migration, über die wir auch versuchen können, in die Ausbildung zu investieren. Der andere Punkt ist die Personalgewinnung. Das Wichtigste ist aber, dass wir für die Ausbildung keine Schmalspurprogramme initiieren. Dies gilt es vom Blickpunkt der Wissenschaft zu vermeiden, denn wir wollen nicht, dass es irgendwann eine Qualitätsminderung gibt, welche bedeuten würde, dass wir Quereinsteiger:innen in den Kitas arbeiten lassen, legitimiert durch vierwöchige Kurse oder schnell erlangte Zertifikatskurse. Das kann nicht im Sinne der Kinder und auch für die Gesellschaft nicht gut sein.
Gleichwohl möchte ich betonen, dass wir die Chancen, die wir durch Migration und insbesondere durch Zuwanderung für die Fachkräftegewinnung gegeben sehen, erkennen und nutzen sollten. Mehr Menschen in die Kitas zu bekommen, Frauen wie Männer, muss weiterhin ein Ziel in der frühkindlichen Bildung sein. Man kann auch über Lohnanhebung sprechen, aber da hat sich in den vergangenen Jahren bereits einiges verbessert. Die Tarife sind nicht mehr so schlecht, wie sie es mal waren.

Die Ausstattungen und Arbeitsbedingungen in den Kitas sind jedoch alles andere als angemessen und wir haben zu wenig Zeit ohne Kinder, in der sich sinnigerweise über die Kinder ausgetauscht, fort- und weitergebildet wird. Es muss auch möglich sein, nach seinem eigenen Gesundheitsgefühl arbeiten zu können, sodass man auch bis zur Rente durchhalten kann. In der Regel ist die Arbeit in der Kita oftmals laut und anstrengend zugleich, denn Erzieherinnen und Erzieher sind in der Arbeit in der Kindergruppe einem hohen Geräuschpegel ausgesetzt. Für die Verarbeitung dessen benötigen wir gute Voraussetzungen, zum Beispiel einen verpflichtenden Lärmschutz. Betreffend der Generierung von Männern lässt sich festhalten, dass eine Lohnanhebung vielleicht eine Verbesserung herbeiführen könnte.

Nils Kubiak: Für Erzieherinnen und Erzieher ist es noch immer schwierig, sich neben dem Beruf fort- und weiterzubilden. In diesem Zusammenhang gibt es viel Kritik am noch mangelnden Angebot, insbesondere betreffend hybrider Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen. Warum ist Weiterbildung in der Frühpädagogik wichtig und welche Ausblicke können Sie in puncto neuer Angebote geben?

Sabine Skalla: Für hybride Lehrveranstaltungen ist eine gute Technik Grundvoraussetzung, denn es ist wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichberechtigt arbeiten können. Dazu gibt es sehr gute Konferenzsysteme, zum Beispiel Owl Labs, welches sich für hybride Meetings eignet. Eine gute Zusammenarbeit in hybriden Settings erreicht man auch über den Einsatz mehrerer Kameras. Das Arbeiten mit Zoom und anderen Konferenzsystemen hat sich auch für hybride Zusammenkünfte als geeignet erwiesen.

Der Gleichberechtigungsaspekt in der digitalen Arbeit ist für mich sehr bedeutsam, vorwiegend in der Interaktion zwischen Studierenden, Lehrenden und Weiterbildenden. Durch die Corona-Pandemie ist ein Digitalisierungsschub erfolgt, der auch den Kita-Sektor beeinflusst hat. Fortbildungen können heute bundesweit und virtuell stattfinden. Selbst die Arbeitsämter haben mittlerweile bundesweit Qualifikationskurse und Weiterbildungskurse in digitaler Form aufgelegt. Weiterqualifizierung ist tatsächlich ein ganz wichtiger Punkt in der Frühpädagogik.
Für den Kita-Bereich gibt es aus meiner Sicht seit der Pandemie eine noch größere Zahl von Möglichkeiten, sich fort- und weiterzubilden. Diese Möglichkeiten müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrnehmen können. Es ist Aufgabe von Kita-Leiterinnen und -Leitern zur Fort- und Weiterbildung zu motivieren, damit Weiterqualifikation erreichbar ist. Ich erlebe des Öfteren, dass Personal in Kitas Fortbildungen bucht, dann aber nicht teilnimmt, da in den Einrichtungen Personalmangel besteht. Das darf in meinen Augen nicht geschehen. Es muss Prio 1 sein, dass die gebuchten Fortbildungen besucht werden können. Selbstverständlich weiß ich um die Herausforderungen des Personal- und Fachkräftemangels, welcher auch dazu führt, dass viele Kita-Leiterinnen und -leiter großem Druck im Alltag ausgesetzt sind und bedingt dadurch Fort- und Weiterbildung nicht ermöglichen. Die Kita-Leiterinnen und -Leiter müssen meiner Meinung nach dennoch dafür Sorge tragen, dass Fort- und Weiterbildung in ihren Einrichtungen funktionieren kann. Dieser Aufgabe wird bisher noch zu wenig nachgekommen, daran krankt es meines Erachtens in erster Linie.

Nils Kubiak: Neben den Kita-Helferinnen und -Helfern, welche für 2023 abgesichert sind und für die eine langfristige Fortsetzung des Programms beschlossen wurde, sollen in NRW zusätzliche, multiprofessionelle Fachkräfte, zum Beispiel Sport- und Medienpädagoginnen und -pädagogen in der Betreuung eingesetzt werden, mit dem Ziel der Betreuungssicherung. Was halten Sie von diesem Ansatz und können Kitas infolgedessen mehr Qualität in der Umsetzung der Bildungsgrundsätze „Bewegung„ und „Körper, Gesundheit und Ernährung“ erwarten?

Sabine Skalla: Gegen multiprofessionelle Teams spricht meiner Meinung nach nichts. Auch hierzu gibt es eine Vielzahl von Studien, die zeigen, dass multiprofessionelle Teams eine Bereicherung für Kitas sein können. Wenn beispielsweise eine Kunstpädagogin in einer Einrichtung arbeitet, kann das für die pädagogische Arbeit und die Kinder ein großer Gewinn sein. Voraussetzung dafür ist, dass sie in die Bildungs- und Betreuungsarbeit vollständig integriert ist. Kontraproduktiv in der Umsetzung wäre eher, wenn zum Beispiel ein Sportpädagoge einmal wöchentlich in die Einrichtung käme und für eine Zeitstunde eine Bewegungsaktivität für die Kinder anböte. Die Integration von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern kann nur dann gelingen, wenn diese angemessen ausgebildet und für die frühpädagogische Arbeit qualifiziert werden. Quereinsteiger:innen hauptverantwortlich in der Betreuung einzusetzen, würde schnell zu Überforderung führen und dient nicht der Qualität im Arbeitsprozess. Für den von Ihnen erwähnten Ansatz sind gute Qualifizierungsmaßnahmen notwendig.

Nils Kubiak: Welche Faktoren sind für Sie essenziell, damit sich Kindertagesstätten zu einem nachhaltigen Lebensraum für Familien und Mitarbeitende entwickeln können? 

Sabine Skalla: Kitas in naturnahen Lebensräumen zu errichten, ist ein guter Ansatz. Das Außengelände von Kitas sollte stets vielfältig und unter anderem mit Natur-Materialien bestückt sein. Es sollten im Außengelände nicht nur Schaufeln und Sandspielzeug vorhanden sein, vielmehr sollten Waagen, Messbecher, Wasserspielmöglichkeiten und Bewegungsangebote mit Bewegungsbaustellenelementen für die Kinder zugänglich sein. Nachhaltig bedeutet für mich auch, dass ressourcenschonend mit Materialien umgegangen wird. Darüber hinaus sollten natürliche Baustoffe in Kitas verwendet werden und auf schädliche Farben sollte tunlichst verzichtet werden. Zudem muss nicht immer aus Katalogen bestellt werden, auch über alternative Beschaffungswege sowie örtliche Tischler, Zimmerer oder Steinmetze lohnt es sich nachzudenken.

Nils Kubiak: Welche drei Ziele müssen aus Sicht der frühkindlichen Bildung bis 2030 in den bundesweiten Kitas erreicht werden?

Sabine Skalla: Es muss dafür gesorgt werden, dass die Qualität in den Kitas gesteigert wird. Das Personal muss adäquat qualifiziert werden und in der Politik sollte man sich an den wissenschaftlichen Vorgaben orientieren, zum Beispiel betreffend des Betreuungsschlüssels. Die allgemeinen Rahmenbedingungen sollten sich verbessern, was bedeutet, dass Freistellungszeiten ohne die Arbeit am Kind für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich sind. Das ist sehr wichtig, denn sinnvollerweise kann sich dann über die Kinder besser ausgetauscht werden und Zeit für Teamsitzungen und Weiterbildung wäre somit möglich. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der frühkindlichen Bildung sollten bei Politikerinnen und Politikern Gehör finden, mit dem, was sie untersuchen, worauf sie verweisen und was es in ihren Augen für die Kitas zu optimieren gilt. Den Weiterqualifizierungsaspekt halte ich für den Wichtigsten.

Nils Kubiak: Vielen Dank für dieses Interview.
 

Prof. Dr. Sabine Skalla 

hat in Erziehungswissenschaften promoviert und war 17 Jahre Kita-Leiterin einer inklusiven Kindertageseinrichtung. Sie ist Vizepräsidentin der DIPLOMA Hochschule, Leiterin des Fachbereichs Soziales & Pädagogik sowie Studiendekanin für die Bachelor-Studiengänge Frühpädagogik – Leitung und Management in der frühkindlichen Bildung (B.A.) und Kindheitspädagogik (B.A.). Frau Skalla ist Autorin und Herausgeberin verschiedener Fachbücher.


Nils Johannes Kubiak

ist ehemaliger Waldorfschüler und hat das Waldorfkinderhaus-Herne e. V. als eines der ersten Kinder von 1994 bis 1997 besucht. Er studierte an der Technischen Akademie Wuppertal e. V. in Kooperation mit der DIPLOMA Hochschule in Bochum und ist staatlich anerkannter Erzieher sowie staatlich anerkannter Kindheitspädagoge im Bereich Leitung und Management.
In seiner Arbeit als freier Autor schreibt er unter anderem über Kinderrechte und das KiTa-Management und interviewt Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus den Fachbereichen Frühpädagogik, Gesundheit und Soziales.

  

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Kitas stehen vor großen Herausforderungen

Prof. Dr. Sabine Skalla, Leiterin des Fachbereichs Soziales & Pädagogik an der DIPLOMA

Nils Kubiak ist studierte an der Technischen Akademie Wuppertal e. V. in Kooperation mit der DIPLOMA Hochschule in Bochum und ist staatlich anerkannter Erzieher sowie staatlich anerkannter Kindheitspädagoge im Bereich Leitung und Management.

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